Samstag besuchte ich eine Freundin, die ich gewiss Wochen oder vielleicht auch Monate nicht gesehen hatte. Auf das Treffen freute ich mich schon und darauf wie sich ihre kleine Tochter Z. entwickelt hat. Mit 5 Jahren geschieht ja noch so viel! Manchmal denke ich, wenn ich geahnt hätte, was mich in meinem Erwachsenenleben erwarten würde, dann hätte ich das Wachstum eingestellt und wäre ewig Kind geblieben. Aber wie jedes Menschenkind werden wir aus dem Paradies der Kindheit vertrieben, um uns unserem Schicksal oder Karma zu stellen.
Als ich unterwegs mit dem Zug zu ihr war, rief sie mich an und erzählte mir, dass wir uns auf diesem Platz treffen, da dort ein Nachbarschaftstreffen mit Flohmarktständen stattfindet.
Als ich dort war, sah ich sie. Ein kleines Fräulein mit blonden Haar. Sie grinste mich an, wir redeten. Sie erzählte mir, dass ein buddhistischer Bekannter zu uns stoßen wird. Er kam. Er war um die 60, sah leicht mitgenommen aus. Er hatte viele rote Äderchen an den Backen. Dann erzählte er uns am Tisch der Kneipe draußen, dass er zu laut Musik in seiner Wohnung hören würde und die Nachbarn sich beschweren würden. Er hatte schon mehrere Abmahnungen unterschrieben, aber ihm schien alles ziemlich am Arsch vorbei zu gehen. Er war in einer dieser zehn buddhistischen Welten gefangen, die den Namen Hölle trägt. Sein Verhalten wurde mit der Zeit immer etwas seltsamer, bis ich irgendwann mitbekam, dass er Alkoholiker ist. In meiner Familie kommt Alkoholismus auch vor, was ich als einer der schlimmsten Süchte betrachte. Der Entzug eines Profitrinkers soll so schwierig sein wie wenn man auf Heroin ist. Und Alkoholiker haben oft die Eigenschaft nur noch sich zu sehen und nur noch um sich zu drehen. Der andere nimmt dann immer eine untergeordnete Stellung ein. Wie schlimm Alkoholismus ist, musste ich ja immer an meinen Vater beobachten, der besoffen immer vor sich hin jammerte. Der Alkohol nimmt die Würde eines Trinkers und macht ihn zu einer Witzfigur.
Zum Glück habe ich immer Respekt vor alkoholischen Getränken gehabt, da mir die Konsequenzen einer Sucht bewusst sind. Ganze Völker hat der Alkohol dahingerafft, vorallem Indianer könnten von dem Feuerwasser nicht die Finger lassen, da ihnen ein bestimmtes Enzym zum Abbau des Alkohols fehlt. Die russischen Männer werden heute dank des Feuerwassers kaum über 60 Jahre alt und auch jede staatliche Kampagne gegen diese Sucht fällt auf unfruchtbaren Boden. Der Alkohol ist zu sehr ein Teil der Gesellschaft geworden, denn ohne Promille gibt es kein Spass.
Dieser ältere Herr war früher oft in Lybien und anderen arabischen Staaten unterwegs, da er dort Geschäfte betrieb. Die Araber beschrieb er bei einem Gläschen Weisswein als die fairsten und herzlichsten Leute die er je kennengelernt hatte. Also genau das Gegenteil von dem, was wir seit dem 11. September im Kopf haben.
Dann las ich meiner Freundin am Tisch ein Gedicht vor, den ich aus einem Heft von Dichtern herausfischte. Meine platonische Freundin sagte nachdem ich dieses Gedicht vortrug, dass sie meine Stimme so mag. Der Alkoholiker funkte dazwischen und behauptete das Gegenteil und wollte mich so runter machen. So versuchte er es den ganzen Abend. Der schöne Abend wurde so langsam, aber sicher vergiftet.
N. musste den Säufer unbedingt zu sich nach Hause nehmen, statt ihn wie er selbst wollte mit dem Taxi nach Hause fahren zu lassen. Sie nahm ihn aus Mitleid mit. Er torkelte schon den Flur nach oben. Mir stank das Ganze gewaltig, weil er vorher so einen doofen Witz machte. Er fragte mich, ob ich wüsste was ein PN sei. Ich sagte ihm, dass ich keine Ahnung hätte. Und dann sagte er "Persönlicher Neger". Ich trug sein Gläschen Wein, weil er zuviele Dinge in der Hand hatte, da wir später aus der Kneipe wieder nach draußen gingen. Ich konnte über seinen dummen Witz nicht lachen, aber er erwartete es von mir. Irgendwie hatte dieser Säufer mich auf den Kicker und machte mich noch vor N. fertig. Sagte solche Sätze wie "Hau ab". Er war eifersüchtig, obwohl N. nur eine gute Freundin ist und nicht mehr. Sein ewiges gejammere ging mir am meisten auf den Sack. Ich glaube für meine Freundin ist er auch nur höchstens nur ein guter Kumpel, der ist ja über 30 Jahre älter. Er schmierte ihr Honig um den Mund und sagte, dass sie ja so eine tolle Frau sei. Sowas ähnliches hatte er auch der Kellnerin gesagt, was schon leicht peinliche Gefühle in mir auslöste, weil er alles so übersteigerte.
Während wir zusammen waren in der Wohnung von N. jammerte er, dass er sich für einen miesen Maler hält und nie was aus dieser Leidenschaft wird. Er hätte nur Kunst gekauft, aber seine irgendwann zerstört, da er sie für für scheisse hielt. Ich versuchte ihn aufzubauen und zu sagen, dass es nicht drauf ankommt wie ein alter Meister zu malen, sondern darum seine Gefühle auszudrücken. Alle meine Aufbauversuche scheiterten und was mich auch ziemlich annervte wie er immer mehr Raum einnahm, so dass wir uns nur noch um ihn drehten. Irgendwann sagte ich ihm, dass mir sein Gejammere und sein egoistisches Verhalten auf die Nerven geht. Es tat gut, den Ärger nicht wie in der Vergangenheit in mich reinzufressen, sondern sofort loszuwerden. Er guckte verdutzt und meinte, dass er wissen würde, dass er sich ändern müsste.
Wie ich erfuhr, hatte ihn der Tod seiner Frau vor 9 Monaten aus der bahn geworfen. Sie hatte ihn schon früher wie er sagte mit Trennung gedroht, wenn er sich nicht psychologische Hilfe holen würde, was er dann auch tat. Aber nach seiner Aussage hatte ihm sein Aufenthalt in der Psychatrie nicht geholfen.
Später wurde er auch aggressiv und bot mir Schläge an. Irgendwann gingen wir schlafen, aber ich legte mich nicht neben ihm, weil ich auf ihn kein Bock hatte. Da war mir der harte Boden lieber.
N. versuchte mich etwas zu trösten und sagte mir, dass sie mich lieb hat und küsste mir sanft auf die Backe.
Kontakt: depris (at) web.de
deprifrei-leben - 12. Mai, 19:06