Ich wollte gestern zu einer Tibet-Demo nach Bonn fahren. Gegen 13:30 h war ich bei ihm im Rheinland. Er engagiert sich für eine Menschenrechtsorganisation, die sich für bedrohte Völker einsetzt.
Er musste immer wieder irgendjemand anrufen, was die Abfahrt immer weiter verzögerte. Weil er eine Person nicht erreichen konnte, wurde er immer ungeduldiger. Sein PC streikte auch, es ließen sich die Emails nicht öffnen.
Ich schlug ihm vor, dass man einen neuen Computer kaufen sollte, der schneller arbeitet.
Er verstand das als Angriff auf ihn und meinte, dass nicht alles alte schlecht wäre.
Die jungen Leute kaufen heute immer nur neue Sachen und würdigen die Dinge nicht.
Ich zeigte ihn meine neue Homepage für seine Regionalgruppe und las ihn vor.
In dem Text wurde die Arbeit der Regionalgruppe dargestellt, dass sie sich für die bosnischen Muslime, für die Uiguren, die Tibeter, Yanomamis..eingesetzt hat.
Er forderte einige Verbesserungen, war aber mit dem Endergebnis zufrieden.
Er wollte was kopieren für mich, aber der Kopierer streikte, vielleicht keine Tinte mehr da.
Er wurde unzufriedener.
Je älter er wird, desto ungeduldiger wird er und desto mehr will er machen.
Er merkt wie die Sanduhr abläuft.
Er meinte mal zu mir, dass er heute wegen seinem Alter keiner jüngeren Frau hinterher schauen würde.
Ich dagegen habe noch nicht begriffen, dass ich 30 bin, dass die Zeit endlich ist.
Vielleicht habe ich langsam eine Ahnung vom altwerden, meine Mutter ist 53 und auch nicht mehr so geduldig, ihre Knie streiken öfters. Zum Glück gehts ihrem Knie jetzt besser.
Ich las einen Artikel in der Zeit, dass viele Menschen das Älterwerden ihrer Eltern verdrängen und in der Pflege überfordert sind und die Eltern quällen, um sich abzureagieren.
Wenn ich Klaus sehe, sehe ich wie die Zeit an ihm genagt hat. Er ist unkonzentrierter, als vor seinem Schlaganfällen.
Und vorallem ist er stur und bezieht den anderen nicht ein, in seine Arbeit.
Nach 16 Uhr fuhren wir nach Bonn.
Wir liefen mit langen Stöcken, die zum aufhängen der Transparente genutzt werden sollten.
Außerdem ein Haufen Infomaterial zu China,Tibet..., um sie den Demonstranten zu geben.
Als wir in Bonn ankamen, waren die Demonstranten auf dem Marktplatz längst verschwunden.
Mein Ärger wuchs.
Er hatte gedacht, dass die Demo um 17 Uhr ist und sie war gegen 16 Uhr, als er in sein Notizbuch schaute.
Wir fuhren mit der U-Bahn, um die Abschlusskundgebung nicht zu verpassen.
Wir liefen am alten Bundestag vorbei, alles sah so verlassen aus. Dann liefen wir an der Deutschen Welle vorbei, wo China die Webseiten von diesem deutschen Auslandssender gesperrt hat, damit man keine unliebsamen Nachrichten über Dalai Lama und Tibet lesen kann.
Dann kamen wir nach einigen Fragerei bei der Abschlusskundgebung am Rhein an.
Die Show war vorbei.
Man sah noch einige wenige Leute der Tibet-Initiative und Tibetfahnen.
Mit einer Tibeterin sprach ich zum Schluss noch.
Klaus meinte, dass die Demo gesittet abging und die Polizisten nicht viel zu tun hatten.
Ich meinte etwas ironisch zu Klaus, dass die Tibeter ein friedliches Volk seien.
Die Tibeterin meinte, dass sie auch friedlich seien und lachte herzlich.
Sie meinte, dass ein schneller Tod mit dem Gewehr viel einfacher wäre, als ein langsamer Tod wie es das Volk in Tibet durch seine Friedfertigkeit erlebt.
Dann ging sie.
Klaus fragte mich, ob ich enttäuscht sein und ich antwortete: Ja ein wenig, alles doof gelaufen.
Dann waren wir die letzten Demonstranten.
Gegen 18 Uhr machten wir uns auf dem Weg nach Hause.
Irgendwie hatte mich dieser Tag Energie gekostet.
Mich regte auf wie Klaus mit seiner langen Stange stur geradeaus lief, ohne zu achten, ob er andere Passanten wehtun könnte.
Wenn er unterwegs ist und zu einem Ziel will, dann vergisst er alles, was neben ihm ist.
Vielleicht liegts auch am Alter, dass er den Überlick verliert.
Er wird nächstes Jahr 70.
1939 brach der 2. Weltkrieg aus und der Holocaust gegen die Juden begann.
Er will verhindern, dass anderen bedrohten Völkern das gleiche Schicksal widerfährt.
Er weiss, dass er nicht mehr viel Zeit hat, er wird alt.
Vor ein paar Wochen fragte er mich, ob ich das Zeug im Büro übernehme, wenn er nicht mehr lebt.
Ich antwortete gar nicht, ich wusste, dass dieses Büro 30 Jahre Geschichte der Regionalgruppe beinhaltet mit Papieren, Zeitschriften, Fotos und mir dieses Erbe zu groß wäre.
Ich will lieber neu beginnen, ich bin noch jung.
In den nächsten Monaten will ich auch eine Regionalgruppe gründen.
Kontakt: deprifrei@web.de
deprifrei-leben - 24. Mai, 17:57