Gestern Abend bin ich doch 15 Minuten joggen gegangen, obwohl ich lieber meiner depressiven Lebensphase nachgegangen wäre. Die Belohnung ließ nicht lange nicht auf sich warten und eine kleine Tsunami-Glücksflut durchfloss mein Körper.
Auch das Grübeln ließ um einiges nach und ich konnte in aller Ruhe Jürgen Domians (
http://domian.de ) Nachttalk anschauen.
Es rief eine junge intelligente Dame (26) an, die unter Bulimie litt. Nach ihrer Aussage wog sie nur noch 30 Kilo auf 170. Alleine die Gewichtszahl ließ mich erschaudern und ich mußte sofort an die KZ-Bilder aus Omarska 1992 in Bosnien denken oder an Auschwitz.
Meist redete die junge Dame sehr flüssig und sie klang eher wie eine Gesunde.
Das Problem an Bulimikern ist, dass sie Kontrollfreaks sind und alles im Leben perfekt machen wollen. Sie wollen alles kontrollieren z. B. ihren Körper und schinden ihn bis zum Exzess oder gar zum Tode.
Auch diese junge Dame hatte nach ihrer Aussage vier Klinikaufenthalte hinter sich gebracht und diese immer dann abgebrochen, weil sie nicht genug Freiheit dort verspürte. (Kliniken haben immer Regeln z. B. kein Telefon oder Handy, ein geregelter strukturierter Tagesablauf...)
Sie hatte im Ausland studiert und den Bachelor gemacht und müsste nur noch den Master machen, um hier als Lehrerin zu arbeiten, ihren Traumberuf.
Jürgen Domian redete sehr hart mit ihr und meinte, wenn sie so weiter machen würde, dann würde sie sterben. Sie meinte, dass sie lieber sterben würde.
Er erzählte, dass er vor 25 Jahren an einer Ess-Brech-Sucht litt und er aus dem eigenen Willen aus dieser Scheisse rausgekommen ist.
Er meinte, dass sie auch wollen müsste. (Das Problem mit dem Willen ist, dass der bei psychischen Erkrankungen ziemlich eingeschränkt ist, weil die Krankheit die Kraft einen nimmt.)
Manchmal erscheint mir Domian in solchen Momenten wie ein radikaler Nichtraucher, der den Rest der Raucher klar machen will, dass man durch seinen eigenen Willen das Rauchen wie er aufgeben kann. Nur das Problem ist, viele Raucher können nicht aufhören und ich denke bei so einer schwierigen Erkrankung wie der Ess-Brecht-Sucht gilt dasselbe.
Nur weil einer den Absprung von seiner Bulimie geschafft hat, muss das nicht zwangsläufig für die anderen gelten.
In solchen Momenten wirkt Jürgen Domian auf mich unsensibel, da er wie ein Prediger Parolen rausstößt und sich nicht wirklich in die verzweifelte Lage der jungen Frau hereinversetzt.
Er hat in dem Moment die kritische Distanz zu der Anruferin verloren und versucht ihr mit harten Parolen, ähnlich wie mein Psychiater den richtigen Weg zu weisen.
Wie ich bemerkte konnte er zu der Anruferin keine kritische, aber mitfühlende Distanz aufbauen, da ihn dieses Problem zu sehr mitnahm.
Er riet der Anruferin zu der Klinik oder einer ambulanten Betreuung vor Ort.
Die Anruferin hatte alle Kraft und alle Hoffnung verloren und wirkte auf mich lethargisch.
Sie sagte, dass sie früher nur für die Karriere gearbeitet hätte und gemeint hätte, dass Studienabschlüsse ja für immer blieben, aber Beziehungen ja meist zerbrechen.
Sie kümmerte sich nach ihrer Aussage nicht genug, um ihre Beziehung und als diese zerbrach, fiel sie in die Bulemie.
(Solche extreme Beispiele machen deutlich wie krank einen diese karriereorientierte kalte Gesellschaft machen kann, wo man toll vor der Familie und anderen dastehen will.
Der Bachelor mit seinem genauen strukturierten Zeitvorgaben verstärkt diesen Einfluß in Zukunft unter Studierenden gewiss.)
Jürgen Domian verweigerte ihr eine Weiterleitung zu einem Psychogen in seiner Sendung, da er meinte alles gesagt zu haben.
Vielleicht hat er alles gesagt, aber es fragt sich wie er es gesagt hat. Harte Parolen haben mir in meinen psychischen Notsituationen nie geholfen.
Es passierte eher das Gegenteil, ich wurde noch depressiver.
Andererseits kann so ein Beispiel wie Jürgen Domian auch anderen Menschen Mut zusprechen, ihre Krankheit zu überwinden. Allerdings sollte Jürgen Domian nicht von sich auf andere schliessen.
Trotz allem muss ich mit den Resten meines Willens gegen diese Krankheit angehen, da sie mich sonst völlig kontrolliert.
Das Paradoxe ist eine Willenskraft zu entwickeln, wo eigentlich fast keine mehr vorhanden ist.
Jürgen Domian nannte Disziplin eine wichtige Vorraussetzung, um aus der Bulimie rauszukommen.
Ich denke das Gleiche gilt für Depressionen und für alle anderen psychischen Erkrankungen.
Ein guter Psychologe kann da ein Leutturm im Meer der Dunkelheit sein, damit man einen sicheren Hafen erreichen kann.
Kontakt: deprifrei@web.de
Weitere Informationen über Bulimie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bulimie
Nachtrag: Das Gespräch Domians mit der essgestörten Eva:
http://youtube.com/watch?v=Owy2cRs0Wo4
(So kann sich jeder ein eigenes objektives Bild des Talks machen.)